(M)Ein Problem mit Schutzstreifen
Schutzstreifen sind, theoretisch, eine schöne Sache. Als reine Fahrbahnmarkierung – im Gegensatz zu Radfahrwegen, die einen dedizierten Sonderweg nur für Radfahrer darstellen – dürfen ihn PKW durchaus auch befahren, sofern notwendig und sofern der/die RadfahrerIn dadurch nicht behindert wird. Es ist sozusagen der Versuch, eine Aufteilung des Verkehrsraums zu markieren, dabei aber eine gewisse Flexibilität zu bewahren.
Angelegt werden können Schutzstreifen auf Tempo-50-Straßen innerorts. Sie kommen in der Regel zum Einsatz, wenn – und hier beginnt es (für mich) schwierig zu werden – die Anlage eines Radfahrstreifens platztechnisch nicht möglich ist. Dementsprechend sind für Schutzstreifen geringere Maße empfohlen/erlaubt als für Radfahrstreifen. Als würde ein/e RadfahrerIn auf einmal weniger Platz beanspruchen, nur weil die Straße gerade weniger breit ist. Aber immerhin gilt für Schutzstreifen mittlerweile 1,50 Meter als Regelmaß, damit kann man schon gut auskommen. Wo also liegt (m)ein Problem?
In der Realität, dem gemeinen Ding. Denn in dieser gibt es auch Parkreihen, an denen Schutzstreifen vorbei führen. Der Realität sind sich aber freilich auch die ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen) und mithin auch Städte gewahr, wie es Hamburg mit einem Infoblatt vorbildlich beweist:
In Hamburg achten die Verkehrsplaner darauf, dass neue Radfahrstreifen und Schutzstreifen nicht zu eng an parkenden Autos vorbeigeführt werden. Die Unfallgefahr durch plötzlich aufgehende Autotüren kann so vermieden werden.
Ob Hamburg sich an die eigenen Worte hält, weiß ich natürlich nicht. Die ERA empfehlen einen Sicherheitsraum von 25-50 cm zu Längsparkreihen – in dem verlinkten Infoblatt sieht man einen solchen Abstand sehr schön. Problem erkannt, Problem gebannt?
Willkommen in Augsburg, Lindauer Straße. Dieser Schutzstreifen wurde 2015 angelegt. Und er misst (inkl. Markierung) tatsächlich bis auf ein paar Zentimeter hin oder her 1,50 Meter. Damit ist er breiter als manch dedizierter Radfahrstreifen. Leider säumen die Lindauer Straße beinahe durchgehend Längsparkreihen. Und hier kommen zwei fatale Fehlleistungen zusammen. Dass der empfohlene Schutzraum zwischen Schutzstreifen und Parkreihen fehlt, ist ziemlich offensichtlich. Dadurch ist keinerlei Abstand zu den parkenden PKW gewährleistet. Da die Lindauer Straße direkt ins Stadtteilzentrum von Göggingen führt, ist nahe des Zentrums durchaus mit viel Ein- und Aussteigern zu rechnen – das sind nicht nur PKW, die hier den ganzen Tag unbenutzt vor dem Eigenheim stehen.
Ob der Schutzstreifen nun zusätzlich dazu führt, dass PKW diese Markierung zum einen als Richtlinie für ihren eigenen Abstand nach rechts nehmen und zum anderen möglicherweise den Unterschied zu einem benutzungspflichtigen Radfahrstreifen nicht kennen und demzufolge nicht damit rechnen, dass Radfahrer diesen verlassen, sei dahingestellt – manche haben den Eindruck, manche nicht, eine Studie, welche handfeste Erkenntnisse dazu liefert, habe ich nicht gefunden.
Doch die zweite Fehlleistung offenbart sich erst bei genauerem Hinsehen. Warum parken die PKW denn auch so haarscharf an und auf der Linie? Weil von Linie zur Ablaufrinne lediglich 1,75 Meter zur Verfügung stehen. Ja, die PKW im Bild stehen allesamt ziemlich gut eingeparkt mit dem rechten Reifen an oder schon in der Ablaufrinne. Das zweite Auto im Bildvordergrund schabt schon mit der Felge am Bordstein – es ist das einzige Auto, das sich vollständig jenseits des Schutzstreifens befindet. 1,75 Meter? Fragen wir doch einmal das Internet, wie breit zum Beispiel ein VW Golf ist: 1,79 Meter. Tja. Blöd auch. Und wir erinnern uns: die Markierungen stammen aus dem Jahr 2015. Nicht 1965.
In den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen steht hinter „Längsparkstände“ in Klammern: 2,00 Meter. Was nach einem sinnvolleren Maß für eine Parkplatzbreite klingt (Stellplätze z. B. müssen mit mindestens 2,30 Metern Breite angelegt werden). In der Lindauer Straße wurden also offensichtlich sowohl 25 cm am Parkplatz als auch die mindestens 25 cm Abstand zum Schutzstreifen „eingespart“ – oder eben die Ablaufrinne und die rechte Markierung einfach noch zum Parkplatz gezählt, um für diesen auf 2m Breite zu kommen. Warum die Mindestmaße? Auch bei der Anlage von Schutzstreifen soll darauf geachtet werden, dass sich auf dem verbleibenden Raum zwei PKW konfliktfrei begegnen können. Wie man im zweiten Bild sieht, dürfte das neben dem Pick-up so gerade möglich sein. Stünden aber 50-100 cm weniger zur Verfügung (nicht überall an der Lindauer Straße sind beidseitig Parkreihen), wäre das sicher nicht mehr möglich.
Kurzum: mehr Platz war nicht. Ok. Platz ist in Augsburg generell ein Problem und mehr Platz lässt sich in den seltensten Fällen herbeizaubern. Aber kann es dann die Lösung sein, einfach Sicherheitsabstände „einzusparen“ und an der notwendigen Breite für Stellplätze zu „bescheißen“? Nur, weil ich eine Linie auf die Straße male, welche einen Parkbereich kennzeichnet, werden die Autos auch nicht schmaler. Das ist sinnfreier Selbstbetrug. Und die potentiell Geschädigten davon sind die Radfahrer, welche den parkenden Autos am nächsten kommen – auch, weil ihre Suggestivspur sie unnötig nah herandrängt, da man auch den Sicherheitsabstand für entbehrlich hielt. Alles, damit genug Reststraße für den PKW-Verkehr übrig bleibt.
Was bliebe als Alternative? Die Maße korrekt einhalten und eine Verengung der Fahrbahn in Kauf nehmen, welche keinen beidseitigen Verkehr zuließe (ohne dass die Schutzstreifen benutzt würden)? Das wäre auch mit der Radfahrer-Brille eine Maßnahme, die nur in bestimmten Fällen verhältnismäßig erscheint, etwa, wenn man bewusst eine Verkehrsberuhigung erreichen möchte. Oder: man gesteht ein, dass Schutz-/Radstreifen hier eben keinen Platz finden. Gar keine Markierung ist meiner Meinung nach dann immer noch besser als eine, die Sicherheit suggerieren soll, jedoch schlicht nicht die Maße aufweist, die hierfür in einschlägigen Katalogen empfohlen werden. Platz ist das ausschlaggebende Kriterium für Radfahr-Sicherheit, nicht das Vorhandensein von weißen Pinselstrichen. Wenn diese Pinselstriche mir aber Platz suggerieren, de facto jedoch Platz nehmen, dann ist genau das Gegenteil von Sicherheit erreicht.
Die Lindauer Straße kam auch sehr lange ohne Schutzstreifen aus. Ob sie ein Unfallschwerpunkt ist, ist mir nicht bekannt. Wäre sie einer, könnte (müsste?) man aber auch zum Beispiel mit Tempobeschränkungen oder benutzungspflichtigen Radfahrstreifen/Radwegen reagieren. Oder dafür sorgen, dass in keinem Abschnitt mehr beidseitig Längsparkreihen angelegt sind. Oder eine ordentliche Radfahranlage nur einseitig anlegen. Ob das alles optimal ist oder nicht sei dahingestellt – und unerheblich: Es wäre das Anerkennen der Realität.
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