Fahrbahn vs. Radweg – wo wollen wir fahren?
@zukunftmobil hat gestern einen Beitrag der Zeitschrift mobilogisch in meine Filterblase gespült, woraufhin sich – soweit auf Twitter möglich – eine durchaus interessante Diskussion entspann:
Video-Link: https://twitter.com/zukunftmobil/status/664493413564182528
Organisierte, informierte, schnelle und routinierte Radelnde wollen auf der Fahrbahn fahren. Sie wissen um die Gefahren der üblichen Radwege auf Gehwegniveau. Konzentriert haben sich diese Radler folgerichtig auf die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht. Doch wenn man in den Städten unterwegs ist, sieht man nur wenige Radelnde auf der Fahrbahn, die große Mehrheit fährt auf Radwegen, unabhängig von deren rechtlichem Status und ihrer Qualität. Und sie fahren auf den Gehwegen. Kämpft hier eine kleine Minderheit für ihre privaten Vorteile? Oder ist die Mehrheit einfach zu doof?
Dies ist beileibe keine neue Frage, jedoch auch keine, die bislang beantwortet wäre. Ich für meinen Teil habe, seit ich zum Alltagsradler mutiert bin und mich später auch für die Diskussionen rund um Radverkehrsführung und -förderung interessiert habe, meine Meinung mehrfach geändert und angepasst. Hin zu eben jenem Dilemma: Ist mit dem, was ich bevorzuge, in der breiten Mehrheit ein Blumentopf zu gewinnen?
Oder anders: Ist das, was ich für mich subjektiv als sicher und komfortabel erachte, objektiv auf eine breite Mehrheit übertragbar? Und selbst unter der Annahme, dass sich mein subjektives Empfinden vollständig mit objektiven Fakten decken würde, wäre es damit möglich, das völlig unterschiedliche subjektive Empfinden anderer RadfahrerInnen dadurch zu ändern? Ziel einer allgemeinen Forderung darf zwar sein, Sicherheit und Komfort der eigenen bevorzugten Fahrweise zu stärken, muss jedoch in erster Linie dazu in der Lage sein, mehr Menschen überhaupt zum regelmäßigen Radfahren zu ermutigen. Und hier liegt das Hauptproblem jener, die Blauschilder abschaffen und RadfahrerInnen auf die Fahrbahn holen wollen: sie plädieren für eine augenscheinliche Reduzierung von radspezifischer Infrastruktur. Sie wollen eine Mehrheit, die Radfahren als sicher empfindet, wenn sie möglichst wenig Kontakt mit dem PKW-Verkehr haben, überzeugen, dass sie in ständigem Kontakt mit diesem fahren sollen. Wenn ich alte Gewohnheiten ändern will, muss ich das subjektive Empfinden überwinden können. Objektive Fakten alleine helfen dabei nicht.
Nun darf man es gerne als Fakt darstellen, dass auf Radwegen mehr Gefahr droht als auf der Fahrbahn – zumindest immer dann, wenn sich Fahrbahn und Radweg zwangsläufig wieder treffen müssen. Fahrbahnradeln als sicherere Art ist so gesehen nur ein Rückschluss, und Rückschlüsse sind nicht immer korrekt.
Video-Link: https://twitter.com/osis1980/status/664494477806067712
In der Tat zeichnen sich die ewigen Vorzeigekandidaten Kopenhagen und Amsterdam mitnichten durch aufgemalte Streifen auf der Fahrbahn aus. Und auch Sevilla, so etwas wie der Rising Star unter den radfreundlichen Städten, verdankt seinen Aufstieg der Schaffung einer separierten Radinfrastruktur (Hervorhebung meinerseits):
Empowered by the new administration, Seville’s head of urban planning, José Garcia Cebrián, himself a long-time cyclist, set to work. He hired Calvo, who describes himself as sustainable mobility consultant, to design a hugely ambitious network of completely segregated lanes, a full 80km (50 miles) of which would be completed in one go.
Nun darf man diese separierten Radwege nicht mit dem verwechseln, was man in Deutschland in der Regel antrifft und „Radweg“ nennt. Um zu verstehen, weshalb es hierzulande – zumindest in Teilen der RadfahrerInnenschaft – eine so negative Haltung gegenüber Radwegen gibt, lohnt dieser geschichtliche Abriss:
Let’s show the stunned outlander new evidence for an arising Germany, in which a motorist not only on the autobahn, but on every road will find a lane free and save from cyclists.
Radwege haben den Makel, dass sie vielfach geschaffen scheinen, um PKW mehr Platz zu schaffen – und nicht, um RadfahrerInnen einen für sie adäquaten Raum zu gewähren. Ausgerechnet Deutschlands eigene Vorzeigestadt, was den Radverkehrsanteil angeht – Münster –, belegt mit einer desaströsen Unfallstatistik, dass Radwege in der hierzulande praktizierten Form nicht für die angestrebte Steigerung des Radverkehrs taugen. Nichtsdestotrotz finden wir uns in der paradoxen Situation, dass sich die Mehrheit (noch) nicht auf die Fahrbahn traut – und dort vielleicht auch nie in will. Das Resultat aus einer jahrzehntelangen Fokussierung auf den PKW und das Zurseiteschieben von Rad- und Fußverkehr in den Straßenseitenraum lässt sich nicht mit einer simplen Entfernung von Blauschildern revidieren.
Amsterdam ist jedoch auch nicht als fahrradfreundliche Stadt auf die Welt gekommen. Wandel ist also möglich, doch nach wie vor steht die Frage im Raum, wie die Radinfrastruktur auszusehen hat, welche diesen Wandel befördert. Lassen sich die Konzepte aus Holland und Dänemark so einfach kopieren? Vielleicht ja zumindest eine ganz grundlegende Eigenschaft der dortigen Konzepte: Platz. Gesicherter, ungeteilter Platz. Dieser lässt sich sowohl auf Fahrbahn- als auch Gehwegniveau schaffen. Und wo Platz zur Mangelware wird, muss die Geschwindigkeit sinken. Besonderes Augenmerk verdienen sowieso nicht nur die Wege an sich als vielmehr all jene Stellen, wo sich zwangsläufig die verschiedenen Verkehrsmittel treffen müssen: Kreuzungen. So viel man an Radwegen aussetzen kann (Fahrbahnbeschaffenheit, Breite …), sie passen insbesondere nicht mit den heute gängigen Kreuzungen zusammen. Und selbst wenn ich persönlich den Trend zum Fahrbahnradeln positiv sehe (wenngleich ohne große Chance, damit neues Radfahrerpotenzial zu aktivieren), so sehe ich jedoch in der Frage der Gestaltung von Kreuzungen noch überhaupt keine nennenswerte Bewegung. Ganz im Sinne weißer Streifen werden hier vornehmlich lustige Malereien auf den Asphalt gesetzt – die weder eine wachsende Anzahl an RadfahrerInnen bewältigen können noch in irgendeiner Weise fähig wären, den viel zitierten „unsicheren“ RadfahrerInnen Sicherheit zu vermitteln. An Kreuzungen brauchen RadfahrerInnen nicht nur Platz, sondern auch Zeit. Zeit für eigene, geschützte Grünphasen zum Beispiel. Und da das Rad eben kein Auto ist, kann man auch solche verrückte Sachen machen – gleichzeitiges Grün für alle.
Ich kann die eingangs gestellte Frage nicht beantworten. Ich würde auch nicht raten, Lösungen anderer Städte oberflächlich zu kopieren. Was diese uns voraus haben, ist insbesondere eine weiter fortgeschrittene Wahrnehmung und Wertschätzung des Fahrrads als Verkehrsmittel mit ganz eigenen Charakteristiken. Diese Haltung lässt sich nicht auf die Straße malen. Das soll nicht heißen, dass Fahrbahnradeln eine Sackgasse sein muss. Aber wie schon erwähnt muss es darum gehen, das subjektive Empfinden der Mehrheit zu ändern. Und die Mehrheit fährt weder auf Fahrbahnen noch auf Radwegen, sie fährt noch überhaupt nicht.
Als Alltagsradler habe ich auch keine Probleme damit, mich durch den motorisierten Verkehr auf der Fahrbahn zu „kämpfen“. Sobald ich aber in Begleitung unterwegs bin (Frau, Freunde…) ist das einfach nur stressig und unkomfortabel. Daher würde ich sehr gerne und vollkommen freiwillig gute Radwege benutzen. Nur leider gibt es solche Wege in Deutschland (noch) nicht und in Anbetracht der existierenden Regelwerke, deren lächerliche Mindeststandards eh niemanden zu scheren scheinen, wird es auch noch lange so bleiben. Um einmal ein kleines Beispiel zu nennen (viele werden das jetzt folgende vermutlich noch gar nie bemerkt oder in Frage gestellt haben, aber es zeigt m.M.n sehr schön, welchen Stellenwert Radverkehr hierzulande als Alltagstransportmittel hat): Bordsteinabsenkung. Radfahrer haben die mit Abstand dünnsten Reifen, die schlechtesten Federungssysteme und überhaupt ein großes Interesse an geringstem Rollwiderstand. Trotzdem muss man auch an nagelneuen Radwegen ständig über irgendwelche Bordsteinabsenkungen rumpeln. Weil es eben in den kommunalen Richtlinien zum Straßenbau 1960 oder so festgelegt wurde. Ich möchte mir den Aufschrei in Deutschland gar nicht vorstellen, wenn man mit dem Kfz an jeder Kreuzung oder Einmündung erst einen Bordstein runter und dann wieder hochfahren müsste. Eine Klagewelle wegen defekter Fahrwerke und abgerissener Spoiler würde unsere Kommunen überschwemmen! 😉
Die sehr unterschiedlich ausfallenden abgesenkten Randsteine wundern mich auch immer wieder. Mal sind sie wirklich fast auf Fahrbahnniveau (neuerdings sogar eher eingelassen, etwa um einmündende Straßen abzutrennen), mal ragen sie 5 Zentimeter über den Asphalt. Es muss eine Raketenwissenschaft sein. Am schlimmsten wird es, wenn eine Radfahrspur auf der Fahrbahn endet und man in sehr flachem Winkel auf das Hochbord wechseln soll. Da werden selbst nur 2 cm hohe Randsteine zu bösartigen Stolperschwellen.
Was immer wieder übersehen wird, ist, dass durch die Benutzungspflicht faktisch ein Fahrbahnverbot für den Radverkehr angeordnet wird.
Wenn ich nun gegen die Benutzungspflicht angehe, dann deshalb, weil ich auf der Fahrbahn fahren möchte und nicht weil ich den Radfahrern, die nicht auf der Fahrbahn fahren möchten eins auswischen will. Die Gründe dafür kennst du ja selbst: sicherer, besserer Belag, schneller. Wer möchte darf immer noch auf dem nun nicht mehr benutzungspflichtigen Radweg fahren. Dass ein Radweg komplett wegfällt, wenn die Benutzungspflicht entfällt, kommt äußerst selten vor.
Und ja, ich fände es schön, wenn sich viel mehr Radfahrer auf die Fahrbahn trauen würden, weil dann einfach die Aktzeptanz in der Gesellschaft steigt.
Wer meint ernsthaft, dass jetzt „bessere“ Radwege gebaut werden als die letzten 40 Jahre? Besser heißt dann noch lange nicht gut.
Es gibt keine Belege dafür, dass der Radverkehr steigt, wenn man als einzige Maßnahme nur Radwege baut. Immer gibt es dazu andere Maßnahmen, z. B. Verschlechterung für den MIV, Werbung für Radfahren. Das wird immer irgendwie übersehen.
Bevor sich die verschiedenen Seiten der Radfahrer gegenseitig prügeln und es um irgendwelche Radwege geht, sollte man lieber gemeinsam Maßnahmen fordern, die wirklich helfen: z. B. Tempo 30 innerorts als Regelgeschwindigkeit, statt Förderung der E-Autos Förderung für wirklich umweltfreundliche Bewegungsmittel, Werbung für den Radverkehr, gute und ausreichende Radabstellanlagen, usw.
Wobei ich leider sehe, dass ein nicht-benutzungspflichtiger Radweg die Akzeptanz des Fahrbahnradelns mitnichten steigert. Autofahrer sehen nicht, dass da kein Schild mehr hängt (warum sollten sie auch). Sie sehen nur einen Straßenseitenraum, der zumindest schon immer ein Radweg war, oder der aussieht wie ein Radweg oder auf dem sogar Radfahrer fahren – und dann dich auf der Fahrspur. Daher vereinzelt die wirklich bizarren Schilder, die verkünden, dass Radfahrer auf der Fahrbahn fahren dürfen (als wäre das etwas absonderliches). Ich fürchte beinahe, dass diese Schilder den Ausnahmecharakter sogar noch verstärken – es sei denn, man nimmt die Blauschilder in einem großen Schwung auf einmal ab und stellt die Fahrbahnbenutzungsschilder weitflächig auf (und behandelt sie wie „geänderte Verkehrsführung“ Schilder temporär). Das könnte (als eine von vielen Maßnahmen, wie du richtig sagst) was helfen. Allerdings befürchte ich dennoch, dass dies kein nennenswertes zusätzliches Fahrbahnradlerpotenzial erschließt. Dazu höre ich zu oft Aussagen von RadlerInnen, die die Fahrbahn scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Die halten uns Fahrbahnradler für verrückte Extremsportler, wir sind für diese keine Artgenossen, nichts, woran man sich ein Beispiel nehmen könnte. Ich bin da zugegebenermaßen etwas ratlos (weil ich ebenfalls nicht daran glaube, dass flächendeckend großartige Radwege gebaut würden – will ich auch gar nicht haben ;).
Ojemine!
Es bleibt nur zu hoffen, dass sich die in den Kommentaren verbreitete Meinung nicht durchsetzen wird.
Sind wir wirklich so rückständig, dass wir noch nicht vom Fahrbahnradeln als vermeintlich sichere „Alternative zu Radwegen“ weggekommen sind?
Seit jeher erweisen Fahrradwege uns Radfahrern die Sicherheit, die wir benötigen. Dieser Artikel zeigt mir jetzt deutlich, dass meine umfangreiche Aufklärungsarbeit leider noch nicht ausgereicht hat.
Ich habe als Student leider dermaßen viel zu tun, dass ich sie nicht erfolgreich fortsetzen kann.
Dennoch möchte ich kurz als Denkanstoß die Frage wiederholen, die uns alle beschäftigen sollte:
WAS KÖNNEN WIR TUN, UM ERFOLGREICH FAHRBAHNRADELN ZU VERHINDERN?
MLR
Hi Flo,
ich hab leider keinen Kontaktdaten von dir gefunden, deswegen nun eine Kontaktaufnahme über diesen Weg:
Die Umweltstation Augsburg organisiert ein Radlkino am Mo 9.7. auf dem Domplatz und wir würden dich gerne als Diskussionspartner einladen. Christoph Miessl hat uns auf dich aufmerksam gemacht.
Hättest du daran interesse?
Melde dich doch bitte bei mir in der Umweltstation, Tel. 6502236.
Vielen Dank und viele Grüße,
Linda Kaindl