Das Problem der Anderen, reloaded
Nicht zu wissen, wo man mit dem Projekt Fahrradstadt wirklich steht, aber präventiv schon einmal verkünden, dass es mit den 25% Radanteil bis 2020 wohl nichts werde, ist das Eine. Es auch nach sechs Jahren Projekt Fahrradstadt und als Gründungsmitglied der AGFK Bayern (Arbeitsgemeinschaft der fahrradfreundlichen Kommunen) nicht fertigbringen, die niedrigst möglich hängenden Früchte zu ernten, ist das Andere, und die wiederholt offenbarte … ja, was? Ignoranz? Arroganz? Unfähigkeit? Planlosigkeit? Sie hat das Zeug, viel Positives zu überdecken.
Wie es Sven Külpmann bereits am Beispiel eines Bierlasters geschildert hat – das Problem fehlender Lieferzonen oder Parkplätze wird durch das Parken auf Fuß- und Radwegen einfach zum Problem von Fußgängern und Radfahrern gemacht – so leistet sich die Stadt mit der wiederholt lächerlichen Baustellenbeschilderung bzw. Führung um Baustellen herum exakt dasselbe – sie macht ihr Problem, notwendige Baustellenschilder irgendwo hinstellen zu müssen, zum Problem der Fußgänger und Radfahrer, denen sie sie in den Weg stellt.
Natürlich kann man – und sollte man wohl auch, um des eigenen Seelenheils willen – die Baustellenbeschilderungslotterie mit Humor sehen. Oder ihr zumindest mit einer gesunden Portion Gelassenheit begegnen, immerhin hat man keine 10 Quadratmeter Blech um sich herum, die einem jede Wendigkeit nehmen, und kann – meistens – unverhoffte Hindernisse weitgehend folgenlos umfahren. Doch bei aller Gutmütigkeit, die man im öffentlichen Verkehr nun einmal mitbringen muss, muss auch eine Grenze gezogen werden, um sich nicht systematisch ausnutzen zu lassen.
Warum, um zu den aktuellen Beispiel zurückzukommen, muss die Baustellenankündigung mitten auf dem Fuß- und Radweg auf der Lechbrücke stehen? Soweit ich es verstanden habe, betrifft die angekündigte Baustelle in der Haunstetterstraße den Bereich zwischen Stauffenbergstraße und Ilsungstraße – das liegt von diesem Schild sagenhafte 3,6 Kilometer entfernt. Der einzige Grund, dies bereits hier anzukündigen, läge darin, ein rechtzeitiges Ausweichen auf die Berliner Allee zu ermöglichen. Doch das hilft beim Umfahren der besagten Stelle überhaupt nicht. Damit würde die erneute Ankündigung kurz vor Höhe Provinostraße locker ausreichen. Doch selbst wenn man das Schild auf der Brücke haben möchte – warum es denn nicht einfach auf den Mittelsteg stellen? Vermutliche Antwort: Weil jemand nicht für zwei Cent nachgedacht hat. Weil es jemanden scheißegal war. Weil doch eh kein Hahn danach kräht. Radfahrer und Fußgänger werden schon um das Schild herum passen. Tun sie ja auch. Tun sie doch immer.
Oder nehmen wir die Tattenbachbaustelle. Dort stehen seit rund drei Monaten (!) massive Umleitungsschilder auf dem Radweg, um die Schilder herum liegt noch der Rollsplitt des Winters. Stadtauswärts ist es besonders absurd, da rechts neben dem Fuß-/Radweg auf den nun abgesperrten Parkplätzen des ehemaligen Haunstetter Hofs genug Platz für die Beschilderung wäre – man stellt sie aber lieber auf den Radweg. Stadteinwärts versperren die Schilder nicht nur den Radweg, das Kuddelmuddel an verschiedensten Schildern – temporär wie fest installiert – versperrt auch die Sicht auf die Ampel. No single shit was given. Lieber schickt man Radfahrer direkt an einem Eiscafé auf die Gehwegseite – wo sie praktischerweise gleich auch als die Ramboradler auftreten können, die sie schließlich alle sind – DIE KÖNNEN JA WOHL MAL ABSTEIGEN! – als sich irgendetwas zu überlegen, wie man die Beschilderung wohl mit weniger Nebenwirkungen unterbringen könnte.
Und dann wäre da aktuell noch eine Baustelle an der Rumplerstraße stadteinwärts. Zur Abwechslung stehen hier Fußgängern und Radfahrern keine Schilder im Weg, die etwas beschildern, was sie selbst gar nicht betrifft. Offenbar wird eine Reihe Pflastersteine entfernt, die seit jeher den Radweganteil vom Fußweganteil trennen. Eine Umleitung aufgrund einer Baustelle akzeptieren, die eine Sanierung/Verbesserung des eigenen Wegs betrifft? Gerne doch. Aber wieder einmal scheint es zu viel verlangt, die Baustelle korrekt abzusichern und die Umleitung vernünftig zu beschildern.





Zuerst wird man, stadteinwärts auf der rechten Seite der Rumplerstraße auf dem Radweg fahrend, zusammen mit Fußgängern über die Kreuzung mit dem Alten Postweg geleitet. So weit, so gut. Auf der anderen Kreuzungsseite kann man dann einen einlaminierten Laserausdruck bewundern, welcher besagt, Radfahrer und Fußgänger mögen doch bitte die andere Gehwegseite benutzen. Gut, rein rechtlich hat ein solches Schild dieselbe Verbindlichkeit wie ein „Hupt, wenn ihr Kekse wollt“-Schild. Für Fußgänger findet sich immerhin noch das korrekte Zusatzzeichen „Fußgänger Gehweg gegenüber benutzen“, welches unter einem entsprechendem Verbotsschild hängen sollte. Ein Umleitungsschild für Radfahrer – welches es auch gäbe – ist nicht aufgestellt. Das Blauschild ist nicht durchgestrichen oder verhüllt. Ok, natürlich kann man sich hinstellen und sagen: „Na sieht man doch, dass da eine Baustelle ist, mit Loch in der Mitte, dass man da wohl nicht durchfahren soll, wo ist das Problem?“ Das Problem ist, dass jemand, der eine Baustelle einrichtet, für deren Absicherung verantwortlich ist. Ein „wird schon jeder sehen, dass es da nicht lang geht“ reicht in einer Zeit, in der Haftungsfragen wahrscheinlich einen Hauptteil des bürokratischen Aufwands ausmachen, nicht aus. Was ist bei schlechter Sicht, was ist, wenn man kein Deutsch kann, was ist, wenn man zur falschen Zeit nicht aufpasst? Ja, natürlich muss eine Baustelle auch gegen Fehlverhalten abgesichert sein.
Dazu würde als erstes gehören, dass die Baustelle – die Fotos sind an einem Feiertag aufgenommen – abgesperrt ist, und nicht sperrangelweit offensteht. Und was ist so schwer daran, die offiziell vorgesehen Schilder für eine Umleitung des Verkehrs auf die anderen Straßenseite zu verwenden? Und dort dann bitte die Benutzung in „falscher“ Richtung auch zu erlauben? Denn: auf der anderen Seite findet sich NULL Beschilderung. Womit, allen laminierten Ausdrucken zum Trotz, das Radfahren in Gegenrichtung nicht erlaubt ist. Vielen Dank. Das ist allerspätestens der Augenblick, in dem aus einer unkonventionell beschilderten und nicht wirklich abgesicherten Baustelle ein Ärgernis wird. Will sich wirklich jemand mit Nachfragen einer Versicherung auseinandersetzen müssen, wenn es auf der nicht ausgeschilderten Gegenseite zu einem Unfall kommt?
Noch ärgerlicher wird es, sieht man sich die Beschilderung der Baustelle aus der Gegenrichtung an. Linksseitig die Rumplerstraße stadtauswärts ist das Radfahren – auch ohne Baustelle – nicht gestattet. Die vorhandenen Radwege wären (momentan) auch nur leidlich für Zweirichtungsverkehr geeignet (was sich mit der Baustelle, wenn die trennenden Pflastersteine entfernt werden, durchaus ändern könnte). Dennoch ist die Baustelle gleich zweimal abgesperrt und mit einem Radfahren-Verboten-Schild versehen. Genau jene Absperrung samt Verbot also, die von der Fahrtrichtung aus, in der Radfahren erlaubt wäre, fehlt. Wie in aller Welt kann es denn zu einer solchen Beschilderung kommen? Hat die Ausschreibung ein englisches Unternehmen ergattert? Das würde dann auch erklären, warum in der Dornierstraße der linksseitige Geh(!)weg abgesperrt ist, samt Radfahrer- und doppeltem Fußgängerverbot. An Schildern mangelte es also sichtlicherweise nicht. Nur an jedwedem Verstand, sie an halbwegs rationalen Standorten aufzustellen.
Und nein. Man kann nicht über jede so offensichtlich nachlässige Beschilderung achselzuckend hinwegsehen und sich die sinnvolle Umfahrung selbst denken. Letzteres macht man zwar, aber man kann und darf die Stadt nicht einseitig aus der Verantwortung entlassen, für eine einwandfreie Absicherung und Ausschilderung zu sorgen. Genau das tut man aber, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, mit etwas gesundem Menschenverstand ließe sich die Baustelle problemlos umfahren. Natürlich ließe sie sich das, aber stellt sich dieselbe Nachsichtigkeit noch ein, wenn es bei der „problemlosen Umfahrung“ zu einem Unfall kommt und die Versicherung sich quer stellt, weil die tatsächlich vorhandene Beschilderung die „problemlose Umfahrung“ so eben nicht zulässt? Der Benutzer soll das (potenzielle) Risiko übernehmen, weil man sich mal nicht so haben solle wegen einer nicht den Regeln entsprechenden Beschilderung?
Ich denke nicht, Tim. Das ist nicht mein Problem. Also mache es nicht zu meinem.