Video-Link: https://youtu.be/L7Z0ipbpXCA
Localbahn versus Radverbindung
Augsburg hat dieses Jahr eine Fahrradstraße eröffnet. Da es im gesamten Stadtgebiet gerade einmal drei davon gibt, ist das durchaus erwähnenswert. Umso mehr, da diese Fahrradstraße durch Pfersee tatsächlich so etwas wie eine Route ergibt und nicht so isoliert herumliegt wie die andere große Fahrradstraße. Geschaffen wird eine Verbindung vom Sheridan-Park bis zum Gollwitzer Steg – jenseits dieser Wertach-Querung wird demnächst der Radweg an den Schrebergärten vorbei auf 4 Meter Breite ausgebaut, womit nicht viel Phantasie dazugehört, darin den Versuch eines Lückenschlusses bis zum neuen West-Eingang des Augsburger Hauptbahnhofes zu sehen. Damit ergäbe sich perspektivisch (fertig ist die Verbindung noch lange nicht) eine recht attraktive Verbindung für Pferseer Bahnhofspendler.
Ebenfalls dieses Jahr hat die Stadt Augsburg ein Förderprogramm für Lastenräder aufgelegt: 100.000 Euro, aufgeteilt in zwei Töpfe. Der erste stand für Individual-Käufe zur Verfügung, der andere für „Nutzergemeinschaften“. Ersterer war schon am ersten Tag ausgeschöpft, letzterer nach ein paar Wochen. Man mag an Details mäkeln oder zweifeln, aber die gesamte Aktion, auch und gerade mit der Art, wie sie werbetechnisch begleitet wurde, stellte aus meiner Sicht einen riesigen Schritt nach vorne dar, was das Auftreten der Stadt in Sachen Radverkehrsförderung angeht.
Und dann, tja. Und dann. Dann kam diese Umlaufsperre am Gollwitzer Steg. Die mag inhaltlich nichts mit der Fahrradstraße oder generell dem Radverkehrskonzept der Stadt zu tun haben. Nur ist das dem gemeinen Radfahrenden ziemlich egal, denn die Konsequenzen betreffen sie und ihn unabhängig vom Motiv oder dem Verantwortlichen.
Das weißrote Gestänge soll die Sicherheit von Fußgängern und vor allem Radfahrern erhöhen, weil sie zum Passieren des Hindernisses ihr Tempo verlangsamen müssen. Zu „verdanken“ haben dies die Verkehrsteilnehmer der Regierung von Oberbayern. Als zuständige Aufsichtsbehörde hat sie eine zusätzliche Sicherung des Weges über die Localbahnschienen verlangt. Das bisherige Andreaskreuz als Warnsignal reicht ihr nicht aus. (Quelle)
Da reibt sich der Verkehrsteilnehmer verständlicherweise verwundert die Augen. Zum einen ob des Zeitpunktes – warum war das in den letzten rund 100 Jahren kein Problem? – , zum anderen ob der Dringlichkeit. Es dürfte nicht wenige geben, die noch nie einen Zug der Localbahn hier haben verkehren sehen.
Wir verkehren hier zwar mit ein bis zwei Fahrten pro Woche nicht sehr oft, dafür haben wir aber oft gefährliche Situationen festgestellt“, sagt Helmuth Schmitt, Geschäftsführer der Augsburger Localbahn
Interessanterweise habe ich da andere Zahlen gehört, nämlich von <5 Fahrten im gesamten ersten Halbjahr 2019. Aber vielleicht war ja auch das verkehrt. Letztlich ist das zwar ein verständlicher Einwand, aber kein haltbarer: wenn es um einen Sicherheitsstandard geht, kann es kein Argument sein, wie oft dieser Sicherheitsstandard in Anspruch genommen wird. Sehr wohl aber darf man die Verhältnismäßigkeit diskutieren:
Da der Weg vom Steg zu den Gleisen leicht abschüssig sei, kämen Radfahrer und teilweise sogar Fußgänger in hohem Tempo an und bemerkten die Bahn spät oder gar nicht. Er habe selbst schon Beinaheunfälle erlebt. Die Localbahn ist daher laut Schmitt „dankbar für die neue Lösung. Es geht hier nicht um Behinderung, sondern um Sicherheit.
Man habe also „oft gefährliche Situationen“ und „Beinaheunfälle erlebt“. Kein Wort zu Anzahl und Zeitraum, aber lassen wir das einmal so stehen. Ausgenommen den kommenden Herbst, wenn dieser Streckenabschnitt aufgrund von Bauarbeiten an einem anderen Netzabschnitt wieder öfter befahren wird, ist diese Strecke mit „ein bis zwei Fahrten pro Woche“ sehr selten befahren. Ist dafür ein dauerhaftes Hindernis verhältnismäßig? Gäbe es nicht andere Möglichkeiten, eine Erhöhung der Sicherheit herzustellen? Eine, sagen wir mal, Ampel vielleicht? Oder eine Schranke, denn natürlich sind die Trolle nicht weit, die sofort den stets über Rot bretternden Rad-Rowdie ins Felde führen.
Stellt sich heraus, dass eine Schranke natürlich viel teurer ist als eine Umlaufsperre. Ein Schelm, der Böses dabei denkt und vielleicht doch den Kreis zurück zur Stadt und ihrer Ernsthaftigkeit zieht, den Radverkehr ohne Wenn und Aber zu priorisieren. Aber was heißt denn überhaupt Hindernis?
Als eine „Beeinträchtigung der Fahrradstraße“ will das Baureferat die Umlaufsperre nicht verstanden wissen. „Im Vorfeld wurden Fahrversuche mit unterschiedlichen Fahrrädern unternommen. So konnte nachgewiesen werden, dass die Umlaufsperre sowohl mit einem Lastenfahrrad als auch mit einem Fahrradanhänger ohne abzusteigen zu befahren ist.
Tatsächlich ist das Drängelgitter recht leicht zu durchfahren. Mit einem herkömmlichen Rad allemal, mit längeren Gefährten zumindest mit ein bisschen Erfahrung und halt entsprechend langsam. Was ja Sinn der Übung ist. Oder? Oder sollte Sinn der Übung sein, die Aufmerksamkeit für das eigentliche Hindernis zu schärfen? Welches, nur zur Erinnerung, der Zug ist. Nicht das Drängelgitter. Ernst gemeinte Frage: Ist es wirklich sinnvoll, vor eine Gefahrenstelle ein Hindernis zu stellen, welches Aufmerksamkeit benötigt? Wenn das Problem ist, dass VerkehrsteilnehmerInnen so wenig auf die (in der Regel) selten verkehrenden Züge achten, steigert dann ein zusätzliches Hindernis diese Wahrnehmung? Oder bewirkt sie nicht eher das Gegenteil? Letztlich weist auf die Möglichkeit eines Zuges weiterhin nur ein Andreaskreuz hin. Nur muss man jetzt durch einen 1,5 Meter breites Gestängelabyrinth zielen, wo vorher ein 5 Meter breiter Weg war. Ich bin nicht überzeugt. Tom Schlüter hat das auch mal mit ein paar Zahlen unterfüttert und man kann zumindest einmal begründet skeptisch sein. Man möchte meinen, dass eine (Stadt-)Regierung so weit gedacht hat.
Wie weit sie gedacht hat, dürfte sich relativ bald an einer weiteren Problematik zeigen: dass es eine Jahreszeit namens Winter gibt. In der es die unangenehme Nebenerscheinung von Schneefall gibt. Welcher auf Straßen und Wege fällt. Und davon weggeräumt werden muss. Müsste. Wie auch immer man das in diesem Stangengewirr bewerkstelligen will. Immerhin: man kann das Gitter öffnen. Rein theoretisch könnte also der Winterdienst kommen, die Umlaufsperre öffnen, mit Räumgerätschaften räumen und das Gitter wieder schließen (denn offen lassen kann man es haftungsrechtlich nicht). Man sehe es mir nach, dass ich nach etlichen Wintern in Augsburg dem Winterdienst das nicht zutraue. So oder so stellt die Umlaufsperre im Winter ein noch wesentlich größeres Hindernis dar, die Verhältnismäßigkeit wird damit nur noch fragwürdiger. Versäumt der Winterdienst eine einwandfreie Räumung, so wird das Hindernis schnell für eine zunehmende Gruppe an Verkehrsteilnehmern – und darunter wahrscheinlich zuallererst nicht Radfahrende, sondern Zu Fuß Gehende – unpassierbar. Holprig, vereist, mitten im Weg einer (hoffentlich) an Bedeutung gewinnenden Radverkehrsverbindung. Wie war das nochmal?
Es geht hier nicht um Behinderung, sondern um Sicherheit.
Mhm. Das Ding ist: Das glaube ich ihnen sogar. Aber ich bin skeptisch, was die Wirksamkeit der Maßnahme angeht und ich bin völlig anderer Meinung, was die Verhältnismäßigkeit angeht. Ich habe hier zwei Wetten für die Stadt Augsburg. Von einer bin ich mir ziemlich sicher, sie zu gewinnen. Von der anderen hoffe ich, sie zu verlieren:
- Es wird an der Umlaufsperre zu Unfällen kommen. Wahrscheinlich (und hoffentlich) nicht mit Zügen, aber mit der Umlaufsperre. Und da kann man sich dann hinstellen und dem Radfahrenden die Schuld geben, oder sich fragen, ob man zum (berechtigten) Schutz vor der einen Gefahr eine andere geschaffen hat.
- Der Winterdienst hat keinerlei Plan, wie sie die Umlaufsperre freihalten sollen (wahrscheinlich wissen sie nicht einmal davon) und schon beim ersten Schneefall ist die Umlaufsperre dicht und damit eine Fahrradroute blockiert. Aus „da wird man ja mal absteigen und schieben können“ wird dann ein „da wird man ja mal einen Umweg fahren können“, weil genau, es geht ja nur um die Sicherheit und nicht um Behinderung.
PS: Worauf übrigens kaum eingegangen wird: Neben den Localbahnschienen wird direkt im Anschluss der Wertachweg gequert – eine Kreuzung, die etwas mehr Übersichtlichkeit vertragen könnte. Auch und gerade hier würde ich ebenfalls vermuten, dass das Durchfahren (stadteinwärts) der doppelten Umlaufsperre nicht gerade zu mehr Aufmerksamkeit für den Querverkehr sorgt.
Update:
Ich nehme die Straßenreinigung natürlich beim Wort 😉 Bis ich gesehen habe, dass das tatsächlich klappt (nicht nur einmal, sondern konstant zuverlässig), bleibe ich weiterhin skeptisch. Aber hey. Die Kommunikation ist das beste Beispiel, dass sich etwas zum Positiven dreht (der Twitteraccount der Stadt ist imho ein sehr gelungener Teil davon), und warum sollte es nicht auch beim Winterdienst einmal klappen? Dessen track record ist zwar mies, aber hier könnte er punkten.