Kampfradler mal wieder

Wenn es draußen (halbwegs) Frühling wird, schießen die Beiträge zu „Kampfradlern“ ins Kraut – so will es das Gesetz. Heute: auf heise.de. Nun muss man solch glossenartige, mit „Meinung“ betitelte Artikel als das begreifen, was sie sind: Meist einseitige, provokative Darstellungen, um einen bestimmten Punkt zu unterstreichen. Die Einseitigkeit, und mag sie einen noch so zum Misshandeln der Tischkante verleiten, macht solche Meinungen nicht per se falsch, sondern erst einmal nur das: einseitig. Interessant ist ja in erster Linie, in welcher Kernaussage all das Vorgeplänkel kulminiert:

Die wahrscheinlichste Erklärung für das Phänomen lautet also wahrscheinlich wie häufig im Leben: Wie du den Straßenverkehr erlebst, liegt hauptsächlich an deinem eigenen Verhalten. Wer mit der Sicherheit durch die Stadt radelt, dass ihn eh alle töten wollen, der fährt offenbar (bewusst oder unbewusst) so, dass sich diese These häufiger bestätigt. Wer entspannt durch die Stadt radelt, weil ja grundsätzlich fast alle fast immer jeden Unfall vermeiden wollen, der wird deutlich stressfreier auf der Arbeit ankommen.

Das Prinzip des vorangehenden Absatzes gilt natürlich prinzipiell auch für Autofahrer. Der Unterschied ist nur: Wenn ein Autofahrer auf aggro fährt und es passiert etwas, dann beschränkt sich dieses Etwas vor allem in der Stadt meistens auf einen Hauptschaden am Auto. Wer auf einem Einspurgefährt sitzt, verletzt sich dagegen hauptsächlich selber. Umso erstaunlicher, dass es eine relevante Anzahl von Menschen gibt, denen ihre Versehrtheit weniger wichtig scheint als im Beweis ihres Weltbilds die Schmerzen des Märtyrers zu erleiden.

Hier steckt etwas durchaus diskussionswürdiges, allerdings auch etwas haarsträubendes. Auch wenn ich dem Autor mal unterstelle, vor allem auf die Selbstgefährdung von Kampfradlern hinweisen zu wollen, so ist die Aussage, aggressive Autofahrer würden hauptsächlich ihr Auto gefährden, so über alle Maßen und fern jeder Diskussionsbasis falsch, dass sie schlicht nicht so stehen bleiben kann. Wenn „ein Autofahrer auf aggro fährt und es passiert etwas“, dann ist es sehr wahrscheinlich die Gesundheit oder das Leben eines anderen Verkehrsteilnehmers, das auf dem Spiel steht. Dies zu relativieren oder gar auszublenden ist unerhört.

Auch was die „relevante Anzahl“ und das unterstellte Märtyrertum angeht, regt sich der Drang zum Widerspruch, aber nehmen wir mal die Einladung, die ein solcher Meinungsartikel darstellt, an und nehmen einen Aspekt der Kernaussage zur Diskussion auf: Wie man den Straßenverkehr erlebt, hängt also hauptsächlich vom eigenen Verhalten ab? Selbst wenn ich zugestehe, dass Ausnahmen die Regel bestätigen, so fallen mir doch so viele Ausnahmen ein, dass ich die Regel bezweifeln wollte. Man nehme nur Beispiele wie das von Tine Klink.

Doch eines glaube ich schon: Die eigene Stimmung wirkt sich definitiv auf das Erleben aus. Aber das einmal weiter gesponnen: Läge es dann nicht auch am eigenen Verhalten, ob und wen man als „Kampfradler“ empfindet? Der Begriff Kampfradler ist einigermaßen unscharf, bezeichnet aber doch oft/meist das Gegenüber in einer bestimmten Verkehrssituation, in der man sich gefährdet fühlt oder ein Fehlverhalten unterstellt – kurzum, der Kampfradler ist etwas, was man in einer Verkehrssituation empfindet. Stimmte die These des Autors, so liegt dieses Empfinden aber „hauptsächlich“ am eigenen Verhalten. Und wer schon mal als Kampfradler bezeichnet wurde, kann gleich eine ganze Latte an Beispielen nennen: Fußgänger oder (langsame) Radler fühlen sich oft zu knapp und zu schnell überholt – Verfehlung des Überholenden oder Abwesenheit und Zeichen der Überforderung seitens des Überholten? Ohne Klingeln wird man daran erinnert, doch zu klingeln. Mit Klingeln wird man ermahnt, einen nicht zu erschrecken. Fährt man linksseitig, ist man praktisch „nicht zu sehen“ vom abbiegenden Autofahrer, der doch schon auf ach so viel zu achten hat – blöd nur, wenn man völlig rechtens auf der „falschen“ Fahrbahnseite unterwegs ist. Ist das Wahrnehmen eines Rechts und das Voraussetzen, dass andere Verkehrsteilnehmer ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen, nun kampfradeln oder führt die eigene Überforderung zur Schuldzuweisung auf den, der die eigene Überforderung und das daraus folgende Fehlverhalten offensichtlich macht?

Ich hatte mit wirklich netten und intelligenten Menschen schon Unterhaltungen, wo dieses Muster offen zutage tritt. Da fährt einer als Abbieger einen geradeaus eine etwas unübersichtliche (weil große) Kreuzung überquerenden Radfahrer beinahe vom Rad und meint ernsthaft, dass der da doch nicht „so schnell“ drüber fahren könne, der sehe doch, dass man ihn nicht sieht, der solle halt dann nicht fahren (sic!). Nein, das ergibt überhaupt keinen Sinn, braucht ihr nicht öfter durchzulesen.

Aber natürlich gilt auch: Dass Kampfradeln nur durch eigenes Verhalten wahrgenommen wird ist als pauschale These genauso unhaltbar wie das, was der Autor auf heise erzählt. Beides ist nicht vollkommen falsch. Aber es erzählt immer nur einen sehr spezifischen Teil der Geschichte.

Auf welche Aussage im Artikel ich mich einlassen würde: Wer es schafft, sich entspannt im Verkehr zu bewegen – nie vergessen: man ist stets ein Teil dieses ach so schrecklichen Verkehrs –, der erhöht die Wahrscheinlichkeit, auch entspannt anzukommen. Und sorgt im besten Fall noch dafür – mit einem Dankeschön, einem Lächeln, einem Nachgeben –, dass es anderen auch so ergeht. Und man darf die Situation als Radfahrer trotz aller Unbill auch gerne mal richtig toll finden – das ist Radfahren nämlich, Kampfradlern, Kampffahrern und Kampfautoren zum Trotz.