Perspektivenwechsel

Schulweg zu Fuß mit der Erstklässlerin. Ein Perspektivenwechsel, der überaus empfehlenswert ist. Ich halte ihn für ein hervorragendes Beispiel für einen der eher abstrakten Auswüchse motorisierter Gewalt (oder auch hier): die nicht mehr hinterfragte, als gegeben hingenommene, kompromisslose Ausrichtung auf den PKW-Verkehr und die tief verankerte Selbstverständlichkeit des Parkens jenseits aller Verbote. Aber der Reihe nach.

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Deppenparker

Der unerwähnte rosa Elephant unter den gutgemeinten Tipps zum sicheren Schulweg.

10 Meter Irrsinn

Die Bürgermeister-Widmeier-Straße in Haunstetten, ein Abzweig von der alten B17 ins Wohngebiet, ist ein völlig perverses Beispiel, welch absonderlichen Blüten die Priorisierung des motorisierten Verkehrs treibt – und wie sie in völliger Gedankenlosigkeit nicht angetastet wird. Trotz einer über 10 Meter breiten Fahrbahn sieht man sich genötigt, das Parken auf dem Hochbord zu erlauben und den Raum für Fußgänger auf ein lachhaftes Minimum zu beschränken? Ernsthaft?

Das soll Konsens im Jahr 2017 sein?

Platzumverteilung. Das ist nichts anderes, als die aus dem Ruder gelaufene „Normalität“ eines jahrzehntelangen gesellschaftlichen Konsens – der autogerechten Stadt – auf ein gesundes Normalmaß zurückzukorrigieren. Nicht nur zugunsten des Radverkehrs. Zugunsten eines Wandels in den Köpfen.

Und hier muss mir auch niemand mit dem Bus-Begegnungsverkehr kommen. Schließlich ist das Gehweg-Parken nicht entlang der gesamten Straße erlaubt – und dort kommt der Busverkehr anscheinend auch zurecht. Zudem könnte man auch recht entspannt ein abwechselndes Parkverbot installieren, so hoch ist der Parkdruck in der Widmeier nun wahrlich nicht.

Lieber Deppenparker, …

… heute war aber auch wieder viel los. Und dann auch noch kein Parkplatz weit und breit. Nur da, direkt an der Kreuzung, haha! Du Adlerauge, ganz genau passt du da noch hin, und nur drei Schritte von der Tür entfernt. Super. Stört doch keinen.

Nun ja, vielleicht nicht „keinen“. Genauer gesagt: eigentlich jeden. Das da auf dem Bild? Meine Tochter. „Die kommt doch noch vorbei“ sagst du. Richtig, nur sieht sie nicht, wo sie hinfährt. Einen Fußgänger? Einen Hund? Könnte sie nicht sehen, weil du ihr im Weg stehst. Die Mutter mit Kinderwagen, die die Hauptstraße auf dem Fußweg entlang kommt und die Nebenstraße kreuzen will? Muss um dich herum auf die Hauptstraße kurven und damit auf Verkehr achten, der sie gar nicht tangieren sollte – und steht dann im Zweifelsfall auf der Hauptstraße, um auf Verkehr aus der Seitenstraße zu warten. Der ältere Mann, der schlecht zu Fuß unterwegs ist, auf demselben Weg? Muss auch um dich herum, muss auch auf den Hauptstraßenverkehr achten, steht genauso ungünstig im Weg. Die RadfahrerIn, die aus der Nebenstraße links auf die Hauptstraße abbiegen möchte? Sieht leider nicht wirklich gut um dich herum. Genauso, wie die, die von der Hauptstraße in die Nebenstraße einbiegen möchte und nun einen Bogen viel weiter in die Straße hinein fahren muss, also in den Gegenverkehr hinein. Aber es sind nicht nur die vermeintlich schwächeren Verkehrsteilnehmer, die du behinderst, nein. Auch und vor allem deinesgleichen. Der Autofahrer, der aus der Seitenstraße links auf die Hauptstraße abbiegen möchte und, um um dich herum sehen zu können, eine Motorhaubenlänge in die Hauptstraße fahren muss, bis er endlich Sicht auf den Verkehr hat? Der Lieferant, der trotz seiner erhöhten Sitzposition um mindestens eine Autolänge später volle Sicht in die Seitenstraße und mögliche Fußgänger, Radfahrer, Kinder, Hunde hat? Der mit seinem größeren Vehikel nun einen wesentlich engeren Kurvenradius zur Verfügung hat, was ihn unter Umständen sogar dazu zwingt, in die Straße hineinzurangieren?

Nein, lieber Deppenparker, das muss dir bei deinem glücklichen Parkplatzfund entgangen sein. Und als ihr in der Fahrschule durchgenommen habt, dass man fünf Meter Abstand zum Fahrbahnschnittpunkt halten muss, warst du sicher gerade krank. Sonst hättest du freilich nie so idiotisch geparkt. Und sowieso stehst du ja nicht lange da. Nur ein paar Minuten. Naja, vielleicht auch eine halbe Stunde. „Da wird man ja wohl mal dran vorbeifahren/laufen können“. Und du hast ja einen guten Grund. Wo hättest du auch sonst parken sollen. Etwa ums Eck, oder eine Straße weiter? Wie sollte man von da aus je ans Ziel gelangen? Mit DER schweren Tasche?

Tja, und weil du, lieber Deppenparker, darauf keine Antwort weißt – außer, dass es für DICH so am bequemten ist –, oder dir all diese Fragen nie stellst und die Gedanken nicht machst, deshalb bist du die größte Pest, die unser Verkehrswesen hervorbringt. Weil dein Auto nämlich die allermeiste Zeit parkt statt fährt. Und wenn du einmal nicht der Deppenparker in der Straße bist, dann ist es der nach dir. Oder der danach. Es gibt ja doch eine ganze Menge von dir. Das einzige, wovon es noch viel mehr gibt, das sind – alle anderen. Alle anderen außer dir.

Vielleicht möchtest du deinen „guten Grund“ nochmal überdenken.

Eine Umfahrung der Augsburger Straße?

In der Bürgerbefragung im Zuge des Projekts Fahrradstadt 2020 wurde die Augsburger Straße am häufigsten als unsichere Stelle genannt. Es ist eine dieser Straßen, bei der man Stadtplaner aber auch nicht wirklich um ihren Job beneidet: mit der Straßenbahnlinie ist der zur Verfügung stehende Platz eigentlich schon aufgebraucht. Die dürfte auch der Hauptgrund sein, weshalb sich mancher Radfahrer hier besonders unwohl fühlt. Zwischen Gleisen und Bahnsteig bleiben kaum mehr als eine Lenkerbreite Platz und die PKW-Spuren sind auch nicht so breit, als dass diese in großzügigem Abstand an einem vorbeifahren könnten.

Auf dem Workshop zur Fahrradstadt 2020 wurde die Augsburger Straße dann auch exemplarisch herausgehoben und wohl lebhaft diskutiert. Mit dem Ergebnis – soweit ich das mitverfolgte –, dass es kein Ergebnis gibt. Den Schlüsselsatz, den ich dazu (sinngemäß) hörte: “Man wolle für den Durchgangsverkehr nach Parallelrouten suchen und diese entsprechend ausbauen, wenn möglich als Fahrradstraße”.

Radverkehr von den Hauptrouten weg leiten erinnert derzeit vor allem an die Pläne der CSU in München. Andererseits fahre ich selbst gern einmal abseits der Routen, um allzu vielen Ampeln und Abgasen zu entgehen. Nur wie sehen denn gute Alternativrouten aus und was könnte man dort für den Radverkehr tun, außer einen Wegweiser aufstellen?

Zu allererst müsste es sowohl nördlich als auch südlich eine Alternativroute geben, je nachdem, woher bzw. wohin der Durchgangsverkehr kommt/führt. Eine Ableitung nur auf einer Seite würde aufgrund eines längeren Weges von vielen sonst sicher nicht genutzt. Sowohl nördlich als auch südlich muss man aber durch Wohngebiete, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass es noch enger zugeht als auf der Augsburger Straße selbst. Geschlossene Parkreihen und enge Straßen machen die Rechts-vor-links-Kreuzungen schwer einsehbar und bieten bei Gegenverkehr kaum Ausweichmöglichkeiten. Zu den Berufsverkehrszeiten dürfte der Verkehr auf den Nebenstraßen nicht weniger anstrengend sein als auf der Hauptstraße. Und ob der Winterdienst in den engen Straßen überhaupt je durchkommt? Auf alle Fälle später (und weniger oft) als auf der Hauptroute. Zwar wäre das dann eine Sache, die man tatsächlich “ausbauen” könnte, doch warum ausgerechnet der jetzt schon unterfinanzierte Winterdienst zwei zusätzliche Nebenstrecken prioritär bearbeiten sollen könnte, bedarf eines überaus gesunden Optimismus. Auf der nördlichen Seite kommt hinzu, dass die Wegführung sehr verwinkelt ist, um die gesamte Augsburger Straße zu umgehen. Dass das als Ausweichroute für den Durchgangsverkehr funktioniert, ist unwahrscheinlich.

Frage bleibt auch, was eine Fahrradstraße bringen sollte, die gerne als Allheilmittel für Fahrradfreundlichkeit genannt wird. Beide Routen führen durch Wohngebiete. Der PKW-Verkehr geht dort nirgends hin und ob eine Fahrradstraße hier dem Radfahrer Vorrang gibt oder nicht, dürfte in der Praxis keine Auswirkung haben. Tempo 30 gilt auch jetzt schon. Und die Beschränkung des PKW-Verkehrs auf eine Fahrtrichtung ist zum einen wahrscheinlich eher schwierig mit den Anwohnern zu vereinbaren, zum anderen zweischneidig: sinnvollerweise müssten die Straßen für Radfahrer ja beidseitig befahrbar bleiben. Dann aber hat man das Problem, dass in den nach wie vor engen, unübersichtlichen Straßen den PKW in Einbahnstraßen Radler entgegenkommen können. Und ich warte noch auf den Autofahrer, der mir in solchen Situationen sonderlich wohlgesonnen wäre.

Ich denke also nicht, dass die Stadt hier “einfach” etwas tun kann, um die Parallelrouten fahrradfreundlicher zu gestalten als sie jetzt sind (oder nicht sind). Und wenn sowohl Haupt- als auch Nebenstraße beengt sind (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen), so würde ich doch stark für die Benutzung der Hauptstraße votieren. Denn dort ist Verkehr präsenter, hier wird damit gerechnet, dass Radler, Fußgänger, PKW, Tram aus allen Richtungen kommen können. Zudem befindet man sich auf der Hauptstraße auf einer Vorfahrtstraße und die Übersichtlichkeit ist wesentlich höher als in den zugeparkten Nebenstraßen. Und das ist gerade dann entscheidend, wenn es dunkel wird und/oder die Witterungsverhältnisse schlecht werden.

Mit kleinen Lösungen wird hier gar nichts passieren. Da man enorme bauliche Änderungen kaum erwarten kann, bräuchte es schon sehr mutige Entscheidungen, was die Umwidmung von Straßenzügen zu Fahrradstraßen anginge. Ein Schild alleine wäre zwar ein Anfang, aber eine isolierte und zum Scheitern verurteilte Lösung. Man müsste auch rigoros Parkplätze streichen um mehr Platz und Übersichtlichkeit zu schaffen. Wie das in den engen Wohngebieten durchsetzbar sein sollte, kann ich mir nicht vorstellen. Und dass sich jemand in der Stadt das traut erst recht nicht.

(Karte in Bilderserie: Daten von OpenStreetMap – Veröffentlicht unter ODbL)